Zürichsee Zeitung, 23. September 2005, Seite 5
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Meilen: Symbol für Widerstand gegen Golfplatzprojekt am Pfannenstiel wird geschlachtet

Golfer-Schreck wird zur Wurst

Die Tage eines Widerstandssymbols sind gezählt: Stier Simon, bekannt geworden als Maskottchen der Meilemer Golfplatzgegner, wird nach der Viehschau den Gang zum Schlachthof antreten.

Lucien Scherrer

Umringt von Kühen und Kälbern, von denen er die meisten selbst gezeugt hat, liegt Stier Simon träge kauend auf der Weide und blinzelt in die Morgensonne. Als Jungbauer Ralph Rusterholz, Besitzer des Neuhofs in Feldmeilen, die Weide betritt, setzt das Prachttier seine 1100 Kilogramm in Bewegung und erhebt sich.«Hoi Simi», wird er von Rusterholz begrüsst. Ein «Braver »sei der Muni immer gewesen, sagt Rusterholz, während er den Stier am Nasenring festhält. Dass er auch anders könnte, demonstriert Simon, nachdem Rusterholz die Weide wieder verlassen hat: Er scharrt mit dem linken Vorderbein am Boden, wälzt den Kopf im Dreck, lässt ein Knurren ertönen, das sich zu einem markerschütternden Röhren steigert.«Das hat er früher nicht getan », sagt Rusterholz. «In letzter Zeit wird er hässig, wenn er mich sieht.» Ahnt Simon bereits,was sein Besitzer mit ihm vorhat?

In der Regel zählt ein Bauer zwei Jahre auf seinen Zuchtstier –«dann », sagt Ralph Rusterholz, «muss neues Blut in die Herde ».Wie kommt es dann,dass Simon auf dem Neuhof für beinahe vier Jahre für Nachwuchs gesorgt hat? Einerseits ist Simons Effizienz beachtlich – ist er doch Vater von 100 Kühen (Rusterholz: «er hat gute Arbeit geleistet »), andererseits attestiert ihm sein Besitzer einen «guten Charakter ».Und da war noch die Sache mit dem Golfplatz.

Klares Votum für Simon

Im Juni vor zwei Jahren veranstaltete der Quartierverein Feldmeilen einen Orientierungsabend über ein Golfplatzprojekt am Pfannenstiel. Der Saal war gerammelt voll, die Stimmung gereizt. 83 Hektar Land, darunter die Weiden des Neuhofs, sollten nach den Plänen der Zürisee Golf AG einem Golferparadies weichen. Ralph Rusterholz erinnert sich gerne an diesen Abend: Wie er damals aufgestanden ist im überhitzten Saal und die Anwesenden vor die Wahl gestellt hat:«Wollt ihr meinen Simi weiden sehen – oder wollt ihr herumfliegenden Golfbällen zuschauen?» Das Publikum applaudierte – und schickte das Golfplatzprojekt in einer Konsultativabstimmung im Verhältnis vier zu eins deutlich bachab.

Der Metzger weiss von nichts

An jenem Abend wurde Simon, obwohl nicht anwesend, zur lokalen Kultfigur. Die Gegner des Golfplatzes erhoben ihn in den Rang eines Widerstandssymbols. Selbst die Befürworter kamen nicht umhin, den Stier in ihre Argumentation einzubeziehen.«Wir werden schon noch ein Plätzchen finden für Simon », habe ihm Golfplatz-Initiant Franz Scherrer damals am Telefon versichert, erzählt Ralph Rusterholz. Aber er sei hart geblieben und habe Scherrer eine klare Antwort gegeben:«Ich will Bauer sein, kein Golfplatzpfleger.»Simon verdankt seinen langen Aufenthalt auf dem Neuhof also nicht zuletzt den Golfern: Je mehr diese Rusterholz mit seinem Stier neckten («wollen doch mal sehen, wie lange Simon noch da ist»), desto weniger wollte sich der Bauer von Simon trennen.«Er ist immer noch da, im Gegensatz zu den Golfbällen», konnte Rusterholz den Spöttern dann entgegnen, trotzig und stolz.

Zwei Jahre später soll nun aber doch eintreffen, was die Initianten des Golfplatzes nicht erreicht haben: Simon wird von der Weide verschwinden – und geschlachtet. Gründe dafür gibt es genug: Zum einen gehört Simon mit Jahrgang 1997 zu den älteren Semestern; zum anderen hat Bauer Rusterholz in diesem Sommer von Milchvieh auf Mutterkühe umgestellt. Dazu braucht er eine Fleischrasse und einen Fleischrassestier. Simon, Zuchtstier für Milchkühe, hat seine Aufgabe erfüllt – als Zuchtstier und als Golfer-Schreck. Gerade deshalb fällt es Ralph Rusterholz schwer, sich von Simon zu trennen: «Als Bauer bin ich es gewohnt, Tiere zum Schlachthof zu bringen. Aber Simon ist eben schon ein spezielles Tier.» Der Metzger in Uetikon, der Simon mit einem Schlagbolzen in die ewigen Jagdgründe befördern soll, hat bis heute noch kein Telefon von Ralph Rusterholz erhalten.«Ich habs immer wieder herausgezögert »,sagt Rusterholz, der Simon im Frühling 2002 für 3000 Franken gekauft hatte, weil die künstliche Besamung der Kühe wenig Erfolg zeigte. Ausschlaggebend für den Kaufentscheid war,dass Simon eine halbjährige Probezeit auf dem Neuhof mit Bravour absolviert hatte.

Dass Simon nicht irgendwer ist,sondern zur Meilemer Lokalprominenz gehört, hat Ralph Rusterholz seit der Ge- schichte mit dem Golfplatz immer wieder erfahren: «Wanderer erkundigten sich nach ihm und wollten ihn sehen», erzählt der Bauer. Seine mit schwerem Herzen getroffene Entscheidung, den Stier schlachten zu lassen, stösst bei Simons Anhängern auf Unverständnis oder gar Empörung:«Das kann man doch nicht machen!», bekam Rusterholz mehrmals zu hören. Doch der will Simon keine neue Gnadenfrist gewähren. Krönender Abschluss von Simons Karriere, das hat er im Frühling beschlossen, wird die Meilemer Viehschau sein. Dort war der Stier jedes Jahr eine Attraktion. Dieses Jahr sollen die Leute Gelegenheit erhalten, sich vom berühmtesten Stier am Zürichsee zu verabschieden –hoffentlich mit gebührendem Respekt. «Denn das ist im Umgang mit einem Stier das Wichtigste »,sagt Rusterholz. Übrigens: Dass ein Stier beim Anblick von roter Farbe in Rage gerät, ist ein Märchen.«ZSZ »-Fotograf Reto Schneider kann das jederzeit bestätigen: Er hat beim Fotografieren einen roten Pullover und rote Schuhe getragen

Kulinarischer Abschied

Wer die Viehschau verpasst, hat immer noch Gelegenheit, auf eine andere Weise von Simon Abschied zu nehmen. Der Stier wird nämlich nach seinem Gang zum Metzger wieder auf dem Hof erscheinen – in Form von Würsten, Mostbröckli und Salsiz, die Rusterholz zum Verkauf bieten wird. Selbstverständlich wird das Angebot auch für Golfer gelten.